80.Jahrestages der Reichsprogromnacht
Am Vormittag des 7. November 1938 feuert der 17-jährige polnische Jude Herschel Grynszpan in der deutschen Botschaft in Paris zwei Kugeln auf einen deutschen Diplomaten. Das Opfer, der Botschaftssekretär Ernst vom Rath, wird schwer verletzt. Der Schütze will mit seiner Tat auf die Deportationen polnischer Juden im Oktober 1938 aufmerksam machen, unter denen auch seine eigenen Eltern sind. Die NS-Führung nutzt das Attentat als Vorwand für eine großangelegte Welle der Gewalt gegen Juden in Deutschland.
Schon am 8. November, am Tag nach dem Attentat, ereifert sich die Parteizeitung der NSDAP, der "Völkische Beobachter" darüber, dass in Deutschland "Hunderttausende von Juden noch ganze Ladenstraßen beherrschen". Am Abend des 9. November wird der Tod des deutschen Diplomaten in Paris bekanntgegeben.
Später an diesem Abend sagt Propagandaminister Joseph Goebbels in einer Rede, Ausschreitungen gegen Juden seien "von der Partei weder vorzubereiten noch zu organisieren". Allerdings sei ihnen soweit sie spontan entstünden auch nicht entgegenzutreten".
Die bei dieser Rede anwesende NS-Führung verständigt noch am selben Abend ihre Gauleitungen. Die Staatspolizei soll Plünderungen verhindern, aber sonst nicht eingreifen. Brände sollen nur insofern gelöscht werden, um umliegende Gebäude zu schützen. Gleichzeitig wird befohlen, in allen Bezirken so viele Juden wie möglich festzunehmen.
In der Folge kommt es noch in derselben Nacht an hunderten Orten zu gewalttätigen Übergriffen gegen die jüdische Bevölkerung. Obwohl die meisten Ausschreitungen in der Nacht des 9. November stattfanden, war die sogenannte Reichspogromnacht nicht auf diese Zeit beschränkt: An einigen Orten, wie z.B. in Nordhessen, brachen die ersten Unruhen schon in der Nacht des 7. November aus.
Während der Pogrome wurden im Gebiet des Deutschen Reiches 91 Menschen ermordet. Viele Menschen starben noch Tage und Wochen später an ihren schweren Verletzungen. In den darauffolgenden Tagen wurden über 30.000 jüdische Männer verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt.
Die materielle Bilanz der Gewalt waren 1.200 niedergebrannte Synagogen und Gebetshäuser und 7.500 zerstörte Geschäfte. Die Pogrome und die aufgeheizte antisemitische Stimmung im Land übten auch indirekt Gewalt auf die jüdische Bevölkerung aus:
Die Zahl der Suizide jüdischer Bürger nahm in der Zeit nach der Pogromnacht stark zu.
Der Terror der Pogromnacht wurde fortgesetzt durch Verordnungen, die den Juden auferlegten, eine "Sühneleistung" in Höhe von eine Milliarde Mark an das Deutsche Reich zu zahlen, alle Schäden sofort selbst zu beheben, die Kosten für die Wiederherstellung selbst aufzubringen und die von den Versicherungen gezahlten Entschädigungen an das Reich abzuführen. Außerdem wurde die "Arisierung" aller jüdischen Unternehmen und Betriebe angeordnet und damit alle Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben ausgeschaltet.
Die antisemitischen Ausschreitungen im Rahmen der "Reichspogromnacht" waren ein Wendepunkt in der Geschichte der Judenverfolgung im nationalsozialistischen Deutschland, obwohl auch davor schon Synagogen in Brand gesetzt worden waren.
Die erste systematische reichsweite Aktion gegen die jüdische Bevölkerung war der Boykott jüdischer Geschäfte im April 1933.
Mit den Nürnberger Gesetzen von 1935 wurde antisemitischen Überzeugungen auch gesetzlicher Rückhalt verschafft.
In den Tagen und Monaten nach den Pogromen wurde eine neue Welle von Gesetzen verabschiedet, die die Rechte der jüdischen Bevölkerung noch weiter einschränkten.
Für das bürgerschaftliche Engagement, seit 2005 die Geschichte der Juden in Kleinmachnow erforscht zu haben, so auch zum Judenhaus „Auf der Drift 12“, gebührt der Gruppe Stolpersteine hohe Anerkennung. Am 8.Mai d.J. konnte sie sich ins Goldene Buch von Kleinmachnow eintragen.
Angesichts der in unserem Land wieder lautstark vernehmbaren rechtsradikalen Parolen
bleibt die in seiner Proklamation am 3.Januar 1996 zum Gedenktag für den Holocaust am 27.Januar formulierte Mahnung vom Bundespräsidenten Roman Herzog aktuell:
„Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen. Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken.“...
„Dieses Gedenken ist nicht als ein in die Zukunft wirkendes Schuldbekenntnis gemeint. Schuld ist immer höchstpersönlich, ebenso wie Vergebung. Sie vererbt sich nicht.“