CDU Kleinmachnow

Gedanken zum 17. Juni 2018

Am Gedenkstein Ausschitte vorgetragen von Maximilian Tauscher

 Vor 65 Jahren, am 16. und 17. Juni 1953, wurde die DDR durch die erste
Massenerhebung im Herrschaftsbereich der Sowjetunion nach dem Ende des
Zweiten Weltkriegs erschüttert.

Die Krise hatte sich seit längerem vorbereitet. Im Juli 1952 beschloss die
SED den "Aufbau des Sozialismus" nach sowjetischem Vorbild. Betriebe wurden verstaatlicht, die Kollektivierung der Landwirtschaft begann. Der Kampf gegen die "Junge Gemeinde" erreichte einen ersten Höhepunkt. Der Aufbau des Militärs und der Schwerindustrie war nur auf Kosten der Lebensmittel- und Konsumgüterindustrie möglich. Die Bevölkerung litt unter Versorgungsengpässen und Lebensmittelrationierungen.
 

Viele DDR-Einwohner flohen in den Westen; 1952/ 1953 waren es mehr als eine halbe Million. Ende Mai 1953 verfügte die SED-Führung in allen volkseigenen Betrieben eine Erhöhung der Arbeitsnormen:
 

Deutschland vor 65 Jahren, das war in der Bundesrepublik das beginnende Wirtschaftswunder mit Italien-Urlaub und VW-Käfer und jenseits des Eisernen Vorhangs die DDR, deren Staatsführung folgsam den Weisungen der Sowjetunion folgte. Die Ereignisse im Juni 1953 - zusammengefasst im 17. Juni 1953, Arbeiteraufstand in der DDR und in Ost-Berlin - begannen weitaus früher mit spontanen Arbeitsniederlegungen und Forderungen nach einer besseren Lebensqualität.
Im Juli 1952 beschloss die SED auf ihrer II. Parteikonferenz den planmäßigen Aufbau des Sozialismus in ihrem Machtbereich und die Aufstellung von Nationalen Streitkräften der DDR. Der überhastete Aufbau der Schwerindustrie und die Militarisierung, Ende 1952 hatte die Kasernierte Volkspolizei bereits einen Mannschaftsbestand von rund 90 000 Mann, kostete Geld, sehr viel Geld und ging zu Lasten der Konsum-Industrie.
 

Zitat aus H.Knabe der 17.Juni 53:„ In Kleinmachnow, einem Villenvorort von Berlin, kamen am 30 Oktober 1952 an die 2000 Menschen im örtlichen Lichtspieltheater zu einer Gemeindeversammlung zusammen und protestierten gegen Grenzabsperrungen die sie zu zeitraubenden Umwegen zwangen.Die Versammlung beschloss eine Resolution an Ministerpräsident Grotewohl, der zufolge die Verkehrsbeschränkung nach Berlin geeignet sei,“ den Aufbau des Sozialismus in der DDR durch körperliche und außergewöhnliche Nervenanspannung der von diesen Maßnahmen Betroffenen zu gefährden.“

Einstimmig forderte man eine umgehende Beseitigung der Verkehrsbeschränkungen und dass der der alte Zustand für alle Bürger Kleinmachnows wieder hergestellt wird.

Auf Veranlassung der SED-Führung wurden daraufhin 120 Menschen verhaftet und neun zu Haftstrafen zwischen 2 und 10 Jahren Zuchthaus verurteilt.

Katrin Heilmann hatte dieses Thema in einer Masterarbeit näher erforscht und in einer szenischen Lesung am 3.November 2012 in Rathaussaal aufgeführt.

Die Sowjetunion verfolgte besorgt die Entwicklung der Lage in ihrem Besatzungsgebiet, der DDR, und forderte die SED-Führung im April 1953 auf, den „rücksichtslosen Kurs zur Verwirklichung der Grundlagen des Sozialismus zu mildern“. Das SED-Politbüro war aber zu diesem Zeitpunkt auf beiden Augen blind für die Nöte der Bevölkerung und beschloss im April umfangreiche Preiserhöhungen für Fleischwaren, zuckerhaltige Lebensmittel und Eier, zudem wurde einem Großteil der Bevölkerung die Lebensmittelkarte entzogen. Nicht genug damit, wurde am 28. Mai 1953 ein Beschluß des Ministerrates der DDR über die Erhöhung der Arbeitsnormen veröffentlicht.

„Das Ziel dieser Maßnahme ist, die Arbeitsnormen mit den Erfordernissen der Steigerung der Arbeitsproduktivität und der Senkung der Selbstkosten in Übereinstimmung zu bringen und zunächst eine Erhöhung der für die Produktion entscheidenden Arbeitsnormen im Durchschnitt von mindestens 10 % bis zum 30. Juni 1953 sicherzustellen.“
Dabei wurde rasch deutlich, dass sich die zehnprozentige Normenerhöhung bei Nichterfüllung auch als großes Minus in der Lohntüte auswirken kann.

Das Präsidium des Ministerrates der UdSSR, der "Große Bruder", berät am 27. Mai über die Zukunft der DDR. Walter Ulbricht, Otto Grotewohl und Fred Oelßner (fungierte als Dolmetscher) werden nach Moskau bestellt, wo ihnen der Maßnahmenkatalog übergeben wird, der den zukünftigen "Neuen Kurs" der SED bestimmt. Während der Besprechungen macht Otto Grotewohl sich u.a. diese Notizen: "Nicht Prestige fürchten; wenn wir jetzt nicht korrigieren kommt eine Katastrophe. Offene Korrektur.?"
 

Zurückgekehrt geben die Genossen am 5. Juni im Politbüro ihren "Bericht von der Reise", am 6. Juni folgt die "Aussprache zum Bericht über die Reise". Die Öffentlichkeit erfährt davon zunächst nichts. Erst am 11. Juni veröffentlicht die "Tägliche Rundschau" ein Kommuniqué des Politbüros der SED, dessen Inhalt nun offiziell als "Neuer Kurs" gilt.
» Das Politbüro des ZK der SED ging davon aus, dass seitens der SED und der Regierung der DDR in der Vergangenheit eine Reihe von Fehlern begangen wurde,. . . Die Interessen solcher Bevölkerungsteile wie der Einzelbauern, der Einzelhändler, der Handwerker, der Intelligenz wurden vernachlässigt. Bei der Durchführung der erwähnten Verordnungen und Anordnungen sind außerdem ernste Fehler in den Bezirken, Kreisen und Orten begangen worden.“

Der Ministerrat der DDR hebt daraufhin die Beschränkungen für die Ausgabe von Lebensmittelkarten auf, außerdem werden die Preiserhöhungen vom 19.4.1953 zurückgenommen. Das Thema Normen kommt in den Beschlüssen nicht vor und erregt weiter den Unmut der Betroffenen.

Am 14. Juni (Sonntag) erscheint ein Artikel im "Neuen Deutschland" mit dem Titel "Es ist Zeit, den Holzhammer beiseite zu legen". In dem Artikel wird im scharfen Ton die Normentreiberei auf den Baustellen in der Stalinallee kritisiert, die Betriebsparteileitungen sollen vor allem den Menschen in der Produktion sehen?.
Genau das Gegenteil ist der Inhalt eines Artikels des stellvertretenden FDGB-Vorsitzenden Otto Lehmann in der "Tribüne" vom 16. Juni 1953, der auf den Seiten 1 und 2 unter dem Titel "Zu einigen schädlichen Erscheinungen bei der Erhöhung der Arbeitsnormen" bei den alten scharfmacherischen Tönen bleibt. "Die feindliche Theorie? von der Lohnsenkung durch die Normenerhöhung muß zerschlagen werden. Je schneller und je gründlicher dies geschieht, um so aktiver und bewusster werden alle Arbeiter die Normenerhöhung um durchschnittlich 10 Prozent zu ihrer eigenen Sache machen. ... gilt es, den Beschluß des Ministerrats über die Erhöhung der Arbeitsnormen um durchschnittlich 10 Prozent bis zum 30. Juni 1953 mit aller Kraft durchzuführen."
In der aufgeheizten Stimmung gerät die Situation für die SED außer Kontrolle. Überall in Ost-Berlin sind bis spät in den Abend des 16. Juni kleinere und größere Demonstrationszüge auf der Straße, die die Rücknahme der Normenerhöhung, freie und geheime Wahlen sowie den Rücktritt der Regierung fordern. Der Satz „Für morgen rufen wir den Generalstreik aus“, macht die Runde.

Alles geschieht spontan, es gab keine zentrale Streikleitung, niemand, der koordinierend die beginnende Erhebung lenkt.
Noch ahnt und begreift keiner, weder in Ost- noch in West-Berlin, weder im Moskauer Kreml noch im Weißen Haus in Washington, noch im rheinischen Bonn, was an diesem 16. Juni flächendeckend in der DDR beginnt, ein Volksaufstand gegen die Diktatur der SED.
 

Am 15. und 16. Juni streikten Arbeiter auf Großbaustellen in Ost-Berlin. Für
den darauf folgenden Tag riefen sie zum Generalstreik auf. Am 17. Juni 1953
demonstrierten Menschen in 700 Städten und Gemeinden gegen das Regime. Wie viele es genau waren, ist bis heute unklar, die Angaben schwanken zwischen einer halben und einer Million Menschen. Längst ging es nicht mehr nur um die Rücknahme der Arbeitsnormen.

Die Demonstranten skandierten "Wir wollen freie Menschen sein!",

sie forderten

  • den Rücktritt der Regierung,
  • freie und geheime Wahlen,
  • die Einheit Deutschlands.

 

Mit Knüppeln und Steinen gegen Panzer
In den Morgenstunden des 17. Juni schrillen in den Kasernen der Roten Armee rund um Berlin die Alarmglocken, Panzerverbände werden in Richtung Ost-Berlin in Marsch gesetzt. Ihr Ziel ist zunächst Berlin-Karlshorst, das Hauptquartier der sowjetischen Besatzungsmacht.
Niemand in Karlshorst denkt zu diesem Zeitpunkt daran, dass es in wenigen Stunden überall in der DDR zu einem Aufstand kommen wird, als Krisengebiet gilt einzig Ostberlin.
Das SED-Politbüro wird ebenfalls nach Karlshorst beordert. Rudolf Herrnstadt berichtet darüber: „Dort standen wir zunächst, da die sowjetischen Genossen vollauf beschäftigt waren, überflüssig herum. ...“ (Herrnstadt, Das Herrnstadt-Dokument)
Und das regierte Volk? Arbeiter und Angestellte zahlreicher Betriebe befolgen die am Vorabend ausgegebene Generalstreikparole und erscheinen nicht an ihren Arbeitsplätzen. Schon in den frühen Morgenstunden formieren sich Demonstrationszüge, die zum Stadtzentrum marschieren, auch aus den beiden großen Hennigsdorfer Betrieben, den LEW und dem Stahlwerk.
 

Ein Augenzeuge berichtet:
An diesem Tage war ich vormittags in der Berliner Straße in Tegel und erlebte, wie die Arbeiter und Arbeiterinnen aus dem Stahlwerk und aus dem LEW aus Hennigsdorf in ihrer Arbeitskleidung in Richtung Innenstadt zu Tausenden marschierten, um gegen ihr Regime im Ostteil der Stadt zu demonstrieren. Es herrschte allenthalben eine gehobene und freudige Stimmung. Als ich nach Hause kam, hörten wir schon im Radio die Nachrichten von den Vorgängen, die sich nicht nur in Berlin, sondern bereits in der ganzen DDR abspielten.In Hohen Neuendorf sollen Einzelne zu dem Schlagbaum an der Waldschenke an der Reichsstraße 96 gezogen sein und hätten den Schlagbaum beseitigt. Die dort postierten sowjetischen Soldaten wären nicht eingeschritten.

Ohne größere Behinderungen erreichen in den Vormittagsstunden des 17. Juni 1953 immer mehr Demonstranten die Leipziger Straße, zwingen die Volkspolizei sich immer weiter zurückzuziehen. Gegen 10.30 Uhr treffen die ersten sowjetischen Verbände am Haus der Ministerien ein. Die russischen Panzer fahren rücksichtslos in die Demonstranten hinein, hinter den Panzern geht nun auch die Volkspolizei brutal mit Waffengewalt gegen die aufgebrachten Menschen vor und verjagt sie aus der Leipziger Straße. Auch ganz in der Nähe, am Checkpoint Charlie, wo die Panzer mit Steinwürfen empfangen werden, schießen die Soldaten in die Menge. Auf dem Potsdamer Platz kommt es zu heftigen Straßenschlachten zwischen den Aufständischen und den sowjetischen Besatzungstruppen, die die Menge mit Panzern und Maschinenwaffen in die Flucht treiben.
 

Nur das Eingreifen sowjetischer Panzer rettete die SED-Herrschaft; sie schlugen, zusammen mit DDR-Sicherheitskräften, den Aufstand blutig nieder. In dem Buch „Die Toten des Volksaufstandes vom 17.Juni 1953“ sind 55 Todesopfer durch Quellen belegt.

Die SED bezeichnete den Aufstand als "faschistischen Putschversuch" und verhaftete rund 13.000 Menschen als sogenannte "Rädelsführer" und "Provokateure".
Im Laufe des 18. Juni bricht der Widerstand überall zusammen. Standrechtliche Erschießungen (Moskau hatte 12 Erschießungen angewiesen), brutales Vorgehen der KVP und eine rasch einsetzende Verhaftungswelle verhelfen den SED-Mächtigen wieder in den Sattel. Eine genaue Anzahl der Verletzten und der zu hohen Zuchthausstrafen Verurteilten gibt es nicht.

 

Im Juni 1953 rollten sowjetische Panzer aus den Kasernen und schossen den Aufstand zusammen;

 

Im August 1961 rollten sie zur Machtdemonstration ebenfalls, schossen aber nicht; im November 1989 blieben sie in den Kasernen. Endlich am 31. August 1994 verließen sie Deutschland für mer.


Die Ereignisse im Juni 1953 waren ein Kettenglied in den Versuchen der SED-Führung ihren von der Sowjetunion installierten Staat zu stabilisieren, ihrem von ihnen beherrschten Volk ihr undemokratisches Weltbild aufzuzwingen. Sie schafften es für einige Jahrzehnte nach dem

Mauerbau am 13. August 1961 und verloren die Macht endgültig im November 1989, als das Staatsvolk der DDR die Schandmauer zum Einsturz brachte und am 3. Oktober 1990 die Einheit Deutschlands geschaffen wurde

Der Juniaufstand war ein revolutionärer Aufstand für die Freiheit, das erste
Glied in einer Kette von Erhebungen und Aufständen im sowjetischen
Machtbereich, gefolgt von den Bewegungen in Polen und Ungarn 1956, der
Tschechoslowakei 1968 und Polen 1980. Auch wenn viele Demonstranten der friedlichen Revolution im Herbst 1989 es nicht mehr wussten: Sie haben das erreicht, wofür eine Generation früher die Aufständischen des 17. Juni
gekämpft hatten.

Darum erinnern wir uns heute, am nationalen Gedenktag 17. Juni - denn das ist er nach wie vor - an diesen Aufstand für Freiheit und Einheit und an seine
Opfer.


 

Maximilian Tauscher