- Gedanken zum 75. Jahrestag der Befreiung und des Sieges über die Naziherrschaft in Deutschland und Europa -
Kathrin Heilmann, MdK und Gemeindevertreterin: "Den Kalender aus dem Jahr 1945 wird mein Großvater mit den Worten beschriften: Aufheben! Erinnerung an die Hungerzeit ab April 1945."
Du, lieber Gott beschütze uns alle.
- Gedanken zum 75. Jahrestag der Befreiung und des Sieges über die Naziherrschaft in Deutschland und Europa -
Kleinmachnow, 30. Januar 1945
„… Gestern war wieder Angriff, (ich) war bei Familie J., Bomben müssen auch in der näheren Umgebung gefallen sein. Vorgestern sind Bomben in Zehlendorf und Kleinmachnow gefallen, Blindgänger lag in der Garage von S. … Bombentreffer auch drei Häuser weiter. … Über die militärische Lage kann man nichts sagen, es ist alles so furchtbar. Nehme an, dass ich heute zum Volkssturm vereidigt werde und Alarmbereitschaft erhalte. Werde mir den besten Rucksack einrichten. … macht euch Fluchtgepäck fertig. … Schrecklich das alles. …
Euch Allen alles Gute, liebe Grüße und Küsse.
Du, lieber Gott beschütze uns alle.“
Diese Worte stammen aus einem der vielen Briefe, die mein Großvater 1945 seiner Ehefrau schrieb. Meine Großmutter war zu Beginn des Jahres mit meinem Vater und seinen drei Geschwistern bei Verwandten auf dem Land untergekommen.
In diesen Briefen liest man neben der Sorge um die Familie auch etwas über die zugeteilten Lebensmittel, die Ungewissheit, wie denn dieser Krieg wohl ausgehen mag und was danach passieren wird. Man liest von Nachbarschaftshilfe und Flüchtlingen, die nur mit einem Handkarren und dem, was sie auf dem Leib trugen, durch die Straßen Kleinmachnows zogen. Man erfährt von einem Bombenangriff, den mein Großvater in Berlin überlebte. Spürbar ist der beißende Rauch, der in den Kellern so dicht liegt, dass nicht einmal Taschenlampen ihn zu durchleuchten vermögen. Ausführlich erfährt man, wie die Insassen des Luftschutzkellers sich durch zwei weitere Keller kämpften, um dann über den brennenden Hof in Sicherheit zu gelangen. Man spürt die Angst in jeder Zeile, bei jedem Wort.
Alle diese Briefe beendet mein Großvater mit dem Wunsch, der liebe Gott möge sie alle beschützen. Zwar wird dieser Wunsch für meine Großeltern und ihre Kinder in Erfüllung gehen, aber viele Kleinmachnower und Kleinmachnowerinnen überleben den Zweiten Weltkrieg nicht: Sie fallen an der Front, werden durch Bombentreffer getötet, von den einmarschierenden Soldaten erschossen, sterben an Unterernährung oder nehmen sich aus Angst vor der Zukunft selbst das Leben. Häuser werden zerstört, Brücken gesprengt, die Eigenherd – Schule als Lazarett und Schlafstätte für obdachlos gewordene Familieneingerichtet. Hungerzeiten werden folgen.
Den Kalender aus dem Jahr 1945 wird mein Großvater mit den Worten beschriften: Aufheben! Erinnerung an die Hungerzeit ab April 1945.
Diese Worte auf dem Kalender mahnen auch heute noch. Sie mahnen, die Erinnerung an diese Zeit nicht verblassen zu lassen. „Man muss das Gestern kennen, man muss auch an das Gestern denken, wenn man das Morgen wirklich gut und dauerhaft gestalten will." (Konrad Adenauer)
Kathrin Heilmann, MdK
Gemeindevertreterin